Das Zuhause der Tochter sehen und erleben

„Das Zuhause der Tochter sehen und erleben – so lautete Anfang April der Wunsch unseres Fahrgastes Uta und ihrer Tochter Nadja. Uta lebte zuvor in Hamburg und hatte noch nicht die Möglichkeit gehabt, das neue Zuhause ihrer Tochter in Kassel kennenzulernen.

Vier Wochen zuvor war Uta in das Mehrgenerationenhospiz in Kassel eingezogen. Aufgrund Ihres stark reduzierten Allgemein- und Ernährungszustandes ist die Mobilität von Uta stark eingeschränkt, so dass nur noch ein Liegendtransport möglich ist. So starten wir an einem sonnigen Mittwoch von der ASB-Wache in Richtung Heilhaus, wo Mutter und Tochter uns in großer Vorfreude im Hospiz erwarten.

Uta ist aber auch sehr aufgeregt, ängstlich und angespannt, da ihr der Transfer vom Bett auf die Trage große Sorge bereitet. Sie muss sich voll und ganz in die Hände fremder Menschen begeben, die sie noch nie zuvor gesehen hat. Da heißt es, Vertrauen aufbauen und Sicherheit vermitteln. Der Transfer muss langsam und behutsam erfolgen, eine Herausforderung für alle Beteiligten, welche wir mit vereinten Kräften prima meistern. 

Zu fünft starten wir Richtung ‚Herkules', einmal über Kassel schauen und danach zur Tochter, so der Plan. Ziemlich schnell stellt sich heraus, dass Uta die Fahrt als sehr anstrengend und belastend empfindet. Also wird umdisponiert, Herkules erstmal gecancelt und wir fahren auf direktem Weg zur Tochter. Nach 3,5 Kilometern haben wir das ersehnte Ziel erreicht.

Empfangen werden wir mit strahlendem Sonnenschein, Blumenarrangement auf der Terrasse, einem prachtvoll in der Blüte stehenden Zierkirschbaum und zu guter Letzt einem wundervollen Blick auf den sich über der Stadt erhebenden ‚Herkules'. Ein Moment zum Innehalten und Ankommen! Uta steht die Erleichterung, dass wir gut angekommen sind, ins Gesicht geschrieben.

Nadja zeigt ihrer Mutter die mit der Trage zugänglichen Räumlichkeiten. Ein Stopp wird in der Küche gemacht, denn Nadja möchte gemeinsam mit Uta Essen zubereiten. Für uns Selbstverständlichkeiten, die hier zu etwas Besonderem und Wertvollem werden. Wir verlassen derweil die Küche, um Mutter und Tochter Zeit und Raum für Zweisamkeit und Gespräche zu geben und nehmen auf der Terrasse Platz, wo wir mit Kaffee und frischem Käsekuchen verwöhnt werden.

Nach einiger Zeit bittet Uta darum, wieder auf die Terrasse gefahren zu werden. Die Trage wird so eingestellt, dass wir uns alle auf Augenhöhe begegnen. Nadja sitzt neben ihrer Mutter, es werden Gesten und Blicke ausgetauscht. Es bedarf keiner Worte, Blicke sagen mehr als 1000 Worte...

Mutter und Tochter genießen die gemeinsame Zeit. Uta wirkt zusehends entspannter und zufriedener. Anspannung, Unsicherheit und Unruhe sind einem Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit gewichen, das alle Beteiligten umhüllt. Uta erzählt von früher, von Hamburg, von ihrem abwechslungsreichen Leben.

Immer noch strahlt die Sonne mit voller Kraft und man sieht, wie Uta jeden einzelnen Sonnenstrahl genießt. Plötzlich ein kleiner Windhauch und Uta befindet sich in einem Blütenregen, der vom Zierkirschbaum genau zu ihr hinüberweht. Was für ein Moment, was für eine Stimmung! Die Natur erwacht und zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Das Bewusstsein, dass es immer wieder einen Neuanfang gibt. Erblühen, verwelken, kommen, gehen, Abschied. Dass eins das andere bedingt und es wichtig ist, die Schönheit des kleinen Moments zu genießen, füllt diesen Augenblick aus. 

Am späten Nachmittag trifft der Schwiegersohn mit zwei süßen Hunden ein, die Uta als große Tierliebhaberin freundlich begrüßt. Es werden Fotos gemacht, Gespräche geführt, Nadja reicht Uta noch eine Kleinigkeit zu essen und dann kommt der Moment, in dem der Wunsch geäußert wird, die Rückfahrt anzutreten.

Der Herkulesbesuch steht nicht mehr zur Debatte. Das, was Uta und Nadja wichtig war, haben wir gemeinsam geschafft – und nur das zählt! Was nun folgt, ist ein sehr emotionaler Moment des Abschieds, gepaart mit Erleichterung, Zufriedenheit und Dankbarkeit.

Die Rückfahrt ist entspannt, kein Vergleich zur Hinfahrt. Uta weiß ja jetzt, was auf sie zukommt, und wir sind keine Fremden mehr. Und das Wichtigste: Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen!

Im Hospiz werden wir schon erwartet, es erfolgt der Transfer von der Trage ins Bett. Wir schauen in ein zufriedenes Gesicht. Natürlich merkt man auch, wie anstrengend es körperlich und emotional für Uta gewesen ist. Aber es hat sich gelohnt! Nach einer herzlichen Verabschiedung treten wir die Heimfahrt an.

Danke Uta, danke Nadja, dass wir Euch begleiten durften!" 

Ein Bericht von Andrea Kepp, Wunscherfüllerin aus Nordhessen.