„Noch ein letztes Mal zu Hertha“: Sterbenskranker möchte vor dem Tod noch mal zu seinem Lieblingsverein ins Stadion
Der Arzt sagt Werner Krause (77), seine Lunge gleiche einem Trümmerfeld. Er muss ins Hospiz ziehen. Doch vorher wünscht er sich einen Abschied von Hertha BSC.
Werner Krauses Sauerstoffgerät knackt und rauscht. „Das ist laut, das Ding, aber es hält mich am Leben. Da darf es ruhig Krach machen“, sagt der 77-Jährige und lacht. Mit dem Sauerstoffgerät auf dem Schoß sitzt Krause in seinem Zimmer im Diakonie Hospiz in Lichtenberg. Im Regal steht eine blau-weiße Kerze, dahinter ein Bierglas mit Hertha-Logo. An der Wand weitere Familienfotos, darunter eins von seinem 14-jährigen Enkel Benny im Hertha-Trikot. Selbst im letzten Zuhause von Krause hat sein Verein einen Platz.
Werner Krause zog ins Hospiz, weil er mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) diagnostiziert wurde. „Ich habe den Arzt gefragt, wie lange ich noch habe. Er sagte, ich solle mir ein paar schöne Tage machen“, sagt Krause und wirkt dabei abgeklärt. „Ich will sterben“, sagt er dann. Das wisse auch seine Familie.
„Ich möchte von Hertha Abschied nehmen." ~ Werner Krause
Doch eine Sache gäbe es da noch: „Ich möchte von meinem Lieblingsverein Abschied nehmen, von Hertha BSC.“ Kein einfacher Wunsch für den 77-Jährigen, der mittlerweile ständige medizinische Betreuung braucht. Vor allem wegen des Sauerstoffgeräts sei er kaum noch mobil. Einen letzten Besuch im Stadion, einen letzten Moment mit seinem Opa – das wünscht sich auch Enkel Benny.
Das erzählt die Familie Hospiz-Sozialarbeiterin Sina Chikar, die weiß, wie sich dieser letzte Wunsch realisieren lassen kann. Sie reicht den Wunsch beim Berliner Wünschewagen vom Arbeiter-Samariter-Bund ein.
Projektleiterin Ann-Brit Keck will den Wunsch von Werner Krause möglich machen. Sie fragt Ehrenamtliche an, die beim ASB Wunscherfüller und Wunscherfüllerinnen heißen, und meist Rettungssanitäter und -sanitäterinnen sind. Sie sollen Krause bei seiner Fahrt ins Stadion begleiten und sind speziell für diese Tätigkeit geschult worden. Keck koordiniert mit Hertha, dass Krause kommen darf. Er soll sogar mit seinem Rollstuhl in der Ehrenloge sitzen können.
Zwei Tage vor dem Stadtderby: Besuch im Hospiz
Zwei Tage vor dem Stadtderby gegen Union Berlin fährt Ann-Brit Keck mit dem Wünschewagen zum Hospiz. Sie will Werner Krause den Wagen zeigen: „Ich möchte, dass Herr Krause sich sicher fühlt und dass er weiß, dass auch für ausreichend Sauerstoff gesorgt ist während des Stadionbesuchs“, erklärt Keck.
Seine Pflegerin schiebt ihn im Rollstuhl zum Wünschewagen. „Wir haben das größte Auto mitgebracht“, scherzt Ann-Brit Keck und wird dann wieder sachlich, wenn sie die Transportliege im Wagen und die Sauerstoffflaschen zeigt. „Ja, prima“, sagt Werner Krause und lächelt. Als Ann-Brit Keck ihm einen Teddy, das Maskottchen des Wünschewagens, überreicht, strahlt er: „Ich bin glücklich“, sagt er und wendet sich dann zum Teddy: „Heute gewinnen wir.“
Dann steht das Stadtderby an. Doch kurz vor dem Spiel im Olympiastadion sagt Krause seine Wunschfahrt ab. Sein gesundheitlicher Zustand hat sich verschlechtert. „Er hat sich die Fahrt ins Stadion nicht mehr zugetraut. Das war eine schwere Entscheidung, die er getroffen hat“, weiß Ann-Brit Keck. Denn letzte Herzenswünsche seien emotional sehr wertvoll.
„Es gibt nur das Hier und Jetzt." ~ Sina Chikar, Sozialarbeiterin
Dass Wünschende ihre Wunschfahrt wieder absagen müssen, gehöre zum Projekt dazu. „Der Tod lässt sich nicht kalkulieren“, weiß auch Sozialarbeiterin Sina Chikar. „Darüber haben Herr Krause und ich auch viel gesprochen. Es gibt immer nur das Hier und Jetzt.“
Dass Wunschfahrten kurzfristig abgesagt werden müssen, begegne dem Team im Durchschnitt bei jeder zweiten Fahrt: „Und trotzdem organisieren wir immer wieder aufs Neue.“
Sinar Chikar und Ann-Brit Keck wissen, dass die Organisation der Wunschfahrt für Werner Krause trotzdem wertvoll war: „Da war so viel Vorfreude, und es gab so viele schöne Gespräche im Vorhinein“, sagt Chikar. Und Abschied von Hertha habe Werner Krause trotzdem genommen. Still und leise in seinem Zimmer im Hospiz.