Fünf Jahre Brandenburger Wünschewagen
Am Samstag, 4. September, präsentiert sich der Brandenburger Wünschewagen von 11 bis 16 Uhr auf dem Potsdamer Hospiztag auf dem Alten Markt in Potsdam. Tatjana Jury, rbb-Moderatorin und Wünschewagen-Schirmherrin, ist ebenfalls vor Ort. Es ist Zeit für Interviews und Gespräche mit den Projektverantwortlichen und Ehrenamtlichen.
Der Wünschewagen, ein Projekt, in dem es um das Sterben geht – oder geht es nicht vielmehr um das Leben? Es ist wohl ein bisschen von beidem. Einmal geht es um den letzten Abschied von Orten und Menschen, aber auch um das kleine Glück, diese Momente noch erleben zu können.
Fünf Jahre gibt es den Wünschewagen nun schon in Brandenburg. Dass Ministerpräsident Dietmar Woidke das rote Band symbolisch für den Start des Projektes im Jahr 2016 auf dem Brandenburg-Tag im Hoppegarten durchschnitt, scheint wie gestern. In dieser Zeit durfte er fast 200 Passagiere an ihre Sehnsuchtsorte fahren. Begleitet von den warmherzigen „Wunscherfüllern“, wie die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer an Bord genannt werden, stets liebevoll, tatkräftig und mit dem immer selben Ziel: dass der Fahrgast einen einzigartigen, unvergesslichen Tag erlebt.
5 Jahre Wünschewagen in Brandenburg – quer durch die Landkreise
Mit aktuellem Stand fuhr der Brandenburger Wünschewagen 170 Mal Passagiere an ihre Sehnsuchtsorte. Die meisten Reisen starteten in Oberhavel (31), gefolgt von Teltow-Fläming (20) und Märkisch-Oderland (16). 15 Mal übernahm der Wünschewagen Fahrten aus Berlin, zwei aus Mecklenburg-Vorpommern. „Alle Verbände unterstützen sich gegenseitig. Wenn es in einem angrenzenden Bundesland einen Engpass gibt, guckt der Nachbarverband, ob er einspringen kann“, erklärt Chantal Waschmann, Projektkoordinatorin des Brandenburger Wünschewagens.
Das meistgewünschte Reiseziel ist die Ostsee, egal ob Heringsdorf, Warnemünde oder Ribnitz-Damgarten. Viele Personen möchten an bestimmten Ereignissen teilnehmen, etwa an Hochzeiten, Geburtstagen oder auch Beerdigungen von Angehörigen und Freunden. Daneben gibt es oft den Wunsch, noch einmal nach Hause zu fahren, etwa wenn der Fahrgast in einem Hospiz lebt, oder ein letztes Mal mit der Schwester Kaffee trinken. Manch einer möchte aber auch seinen Lieblingsstar treffen (wir berichteten).
Ein ganz besonderer Wunsch im Juli 2021 – Zeugnis eines großen Netzwerks
Manchmal werden die Wünsche dann aber größer als zuerst gedacht. Wenn beispielsweise aus einer Fahrt in den Kurzurlaub die gesamte Ausrichtung der Hochzeit wird – binnen einer Woche mit allem, was dazu gehört. Dann muss auf einmal ein ganzes Netzwerk greifen und gut funktionieren. So geschehen im zurückliegenden Juli.
Eine Frau aus Potsdam, Mutter von drei Kindern, meldete sich beim Brandenburger Wünschewagen. Ihr Mann sei krank, er habe nicht mehr lange zu leben, berichtete sie. Sie wollten gerne zusammen einen Kurzurlaub machen, denn Urlaub, den gab es eigentlich nie bei der einkommensschwachen Familie. Neben dem Paar sollten deshalb auch die Kinder mitreisen. Aber die Corona-Situation war nach wie vor schwierig und in der Ferienzeit spontane Anreisen kaum möglich. Dann erwähnte das Paar, dass es eigentlich immer heiraten wollte, es aber nie dazu kam.
Das löste Tatendrang beim Wünschewagen-Team aus. Plötzlich saß Projektkoordinatorin Chantal Waschmann am Telefon und fragte im Potsdamer Standesamt nach freien Terminen. Fast gleichzeitig veröffentlichte Sara Pawlazyk vom Ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienst der Hoffbauer-Stiftung Potsdam einen Facebook-Aufruf für eine Spende von Eheringen – mit einer großartigen Resonanz aus der Brandenburger Bevölkerung. Am Ende konnte das Paar sogar aus drei verschiedenen Ringen wählen. Nancy Petsch vom „Team Kleiderursel“ aus Brandenburg an der Havel stiftete eine komplette Brautpaar-Ausstattung.
Parallel organisierten Chantal Waschmann und Pressereferentin Cindy Schönknecht die Kurzreise, die Trauung, die Torte, den Brautstrauß, einen Fahrdienst für die Gäste und den Babelsberger Fotograf Tobias Koch (www.undwenndulachst.de) für die so wichtigen Erinnerungsbilder. Die Traditionsbäckerei Schröter aus Potsdam war sofort bereit zu helfen und die Torte zu kreieren, ebenso der Blumenladen „Mauerblümchen“. Auch rbb-Moderatorin und Wünschewagen-Schirmherrin Tatjana Jury klinkte sich ein und vermittelte Friseurmeisterin und TV-Visagistin Sandra Specht für die Braut! „Ein großer Dank geht auch an das Potsdamer Standesamt für seine kurzfristige Terminzusage“, sagt Cindy Schönknecht.
Im Anschluss an die Hochzeit organisierte der Veltener Rugby Club den Transport der Familie in die „Flitterferien“ nach Köthen. Einer der Spieler ist Roy Waschmann, der als Ehrenamtlicher seit Langem Fahrgäste begleitet und durch den im vergangenen Jahr eine enge Kooperation zwischen dem Verein und dem Wünschewagen entstand.
In den ersten Projektjahren wäre ein solcher Wunsch kaum umsetzbar gewesen. „Es war einfach großartig, wie hier alle zusammengearbeitet haben“, sagt Cindy Schönknecht, die den Aufbau des Brandenburger Wünschewagens von Anfang an begleitete. „Wie viele
Menschen hier agiert haben, einfach toll. Es zeigt, welche Dimensionen unser Projekt angenommen hat und zu was wir in der Lage sind, wenn es drauf ankommt.“
Dennoch bleibt die Organisation eines solchen Ereignisses eine Ausnahme. „Unser Projekt ist rein spendenfinanziert, wir arbeiten als kleines Team mit Ehrenamtlichen zusammen und müssen dafür Sorge tragen, dass kein Wunsch unerfüllt bleibt. Daher sind so große Events nur in absoluten Ausnahmefällen möglich – und wenn alle zusammenarbeiten.“
Fünf Jahre Wünschewagen sind ein Zeugnis der Zwischenmenschlichkeit, sowohl durch die vielen Schicksale der Fahrgäste, durch den Einsatz der ehrenamtlichen „Wunscherfüller“, ohne die das Projekt nicht möglich wäre – und durch die vielen Spenderinnen und Spender, die den ASB bei der Umsetzung unterstützen. „Das Vertrauen in uns und unser Projekt ist riesig“, sagt Dietmar Lippold, ASB-Landesgeschäftsführer. „Das Thema Tod und Sterben wird durch den Wünschewagen in unserer Gesellschaft sichtbarer – und dafür werden wir uns auch weiterhin tatkräftig einsetzen.“