Wunschfahrt zur Hochzeit der Enkelin

„Als am 21. April die Wunschanfrage per Mail kam, am 19. Mai an der Hochzeit der Enkelin teilnehmen zu können, hüpfte mein Herz so freudig, dass ich nach dem Kalender-Check sofort antwortete: ‚Ich könnte die Fahrt begleiten!‘.

Und ich hoffte inständig, dass mir das Glück hold war, denn ich fiebere schon seit vielen Monaten mit beiden Töchtern deren jeweiligen Hochzeiten entgegen, bin also genau in der richtigen Stimmung für solch eine Fahrt.

Und ja, das Glück war auf meiner Seite – ich wurde als Wunscherfüllerin ausgewählt!

So starteten Uta, Tom und ich am 19. Mai gegen 12:30 Uhr in Kaufbeuren, nachdem wir alles Nötige über unseren 92-jährigen Fahrgast und um die Vollständigkeit des Wünschewagens in Erfahrung gebracht hatten.

Tom und ich hatten heute beide auch ein persönliches Ziel: Für Tom war es die zweite Wunschfahrt, er wollte gerne für eine Weile am Steuer sitzen. Ich wiederum hatte am Ostermontag das ADAC-Fahrsicherheitstraining absolviert und wollte dies ebenfalls auf meine Fahne schreiben können. Zum ersten Mal MIT Fahrgast, weil ich ja nun wusste: Ich kann‘s! Auch bei 50km/h auf glatter Fahrbahn mit Vollbremsung (Gott bewahre…)!

Als wir in Kempten bei Ludwig* eintrafen, lag dieser tiefenentspannt in seinem Pflegebett und antwortete auf meine Frage, ob er aufgeregt sei ‚Ich? Nein, wieso? Ich muss doch nicht heiraten…‘ Flugs halfen wir seiner Pflegerin, die Trachtenkleidung anzuziehen und unseren Fahrgast, den Opa der Braut, in seinen Rollstuhl zu setzen. Gegen 14:00 waren wir bereit zum Aufbruch, der sich gleich zu Anfang so gestaltete, dass wir im Schweiße unseres Angesichts zu dritt die steile Steintreppe hinabstolperten. Nein, natürlich souverän Stufe für Stufe abwärts fuhren! Vielleicht hätten wir doch besser den Raupenstuhl ausprobieren sollen, so wie Uta es vorgeschlagen hatte. Denn es sollte uns heute noch öfter so gehen, da wir in denkmalgeschützten Gebäuden feierten.

Wir waren eine Dreiviertelstunde zu früh am Rathaus in Bad Hindelang, was insofern gut war, weil unser Fahrgast noch die Toilette aufsuchen wollte. Sein Wunsch war uns natürlich wichtig, so dass wir alle Hebel (plus Rollstuhl und Rollator) in Bewegung setzten und das schier Unmögliche möglich machten. Kurze Zeit später saß unser Fahrgast wohlbehalten, frisch und sicher wieder in seinem Rollstuhl und machte sich kurzerhand selbst auf den Weg zum wunderschönen Trauzimmer, nachdem er von allen bereits anwesenden Verwandten liebevoll begrüßt worden war. Natürlich bekam er den besten Platz in der ersten Reihe, während wir uns möglichst unauffällig in den hinteren Bereich setzten und gespannt die Gäste in edler Tracht bewunderten, die einsetzende Akkordeon- und Gitarrenspieler wahrnahmen und schließlich auch das Brautpaar begrüßen konnten. Hach, war das schön und aufregend! Nach der Ansprache der Standesbeamtin folgte das Ja-Wort und dann das Lied von Reinhard Fendrich ‚Weilst a Herz host wie a Bergwerk‘, das von allen Gästen und am innigsten vom Bräutigam selbst mitgesungen wurde, während seine Frau ihn glücklich anstrahlte.

Während des fröhlichen Gratulierens im Anschluss schien Ludwig in seiner Familie sprichwörtlich zu baden und es als Familienoberhaupt sehr zu genießen. Wir hatten dann den Auftrag, vom ersten Stock wieder die lange Treppe nach unten zu nehmen, durch das Überraschungsspalier zu gehen und ‚Opa so hinzustellen, dass er den besten Blick auf das hindurchschreitende Brautpaar hat‘. Gesagt, getan! Da der Ostwind ganz schön kalt um die Ecke pfiff, verkroch sich Ludwig dabei aber bis zur Nasenspitze in unsere doppelt aufgelegten Wünschewagen-Decken und spitzelte nur mit einem Auge auf das Schauspiel, was sich im Anschluss bot. Trotzdem wurden wir Zeugen einer fassungslosen Überraschung auf Seiten des glücklichen Bräutigams, der in seinen zünftigen Lederhosen offensichtlich einen lang entbehrten Freund in dem Spalier entdeckte. Er versuchte, nach links und rechts tuschelnd, seiner Braut und dem Trauzeugen zu entlocken, wer es geschafft hatte, ausgerechnet IHN hierher zu bringen… Ein geheimnisvolles Schulterzucken ließ die Antwort nur erahnen. Als die zwei sich jedoch in den Armen lagen, war tiefe Freude zu spüren und ich musste sehr schmunzeln als jener Freund ihm auf die Schulter klopfte und ins Ohr raunte: ‚Hasch es endlich g‘schafft!‘

So schien Ludwig es bezüglich des Trubels nun auch zu empfinden, denn er war dann schon froh, sich anschließend im Wünschewagen ausruhen und den Sektempfang auslassen zu können.

‚Treffpunkt Obere Mühle um 18:00 Uhr‘ war eine Abmachung, die knapp zwei Stunden Pause und Ruhe für den Fahrgast beinhaltete. Glücklich strahlend lag er in Decken eingemummelt auf der Liege, während wir beschlossen, den dm-Markt in Sonthofen anzufahren, um den dortigen Wünschewagen-Infostand zu besuchen. Erst auf dem Parkplatz fielen Ludwig die Augen zu, so dass er sich nun wirklich erholen konnte. Uta schaute sich die Sache im Laden an, traf dort jedoch keinen Kollegen, sondern einen Info-Tisch mit Broschüren an, die dafür warben, Unterstützung im Ranking der laufenden Spendenaktion zu bekommen. So organisierten wir uns einen Becher Kaffee aus der nahegelegenen Bäckerei und machten ebenfalls Pause bis zum vereinbarten Treffpunkt.

Die ‚Obere Mühle‘ war für Ludwig ein weiteres Highlight, das von seiner Familie als Hommage an ihn ausgewählt worden war. Das ehrwürdige und denkmalgeschützte Gebäude inmitten des tiefsten Allgäus war zeitlebens ein besonderes Ausflugsziel für ihn gewesen. Nachdem wir einige schöne Bilder vor der Mühle gemacht hatten, ging es, wieder im Rollstuhl und mit viel Muskelkraft über Jahrhunderte alte Steinstufen in einen urigen Gastraum, in dem er sich sogleich sichtlich zu Hause fühlte. Er bestellte postwendend ein kühles Bier und sog die Atmosphäre in sich auf. Nur seine andere Enkelin, die heute ihre Aufgabe als Trauzeugin erfüllte und jetzt ihren vier Monate alten Otto, das Urenkelchen, stillte, saß bei ihm und ließ alte Erinnerungen Revue passieren. Diesen Frieden zu spüren, war unsagbar schön!

Wohl auch für das Familienoberhaupt so schön, dass er nicht gewillt war, noch einmal wegen eines gemeinsamen Familienfotos im kalten Wind draußen zu sein. Seine unerschütterliche Antwort auf unsere Behauptung, es sei doch wichtig, dass er mit drauf sei, war: ‚Dann sollen sie zu mir kommen!‘ Dies wurde akzeptiert, die Bilder wurden geschossen und anschließend die Plätze am Tisch verteilt. So kam es, dass die Erwachsenen der Familie an einer großen Tafel, die Kinder mit uns Wunscherfüller:innen an einem zweiten Tisch saßen, der mit Malbüchern und Buntstiften ausgestattet war. Es dauerte ein Weilchen, bis dieses Konzept sich harmonisch anfühlte, da die Kinder sich nicht trauten, sich zu uns zu setzen und wir uns nicht ganz sicher waren, ob nun die Bespaßung der Kinder von uns erwartet wurde. Später, als die Scheu überwunden und die Mädels so zutraulich waren, dass ich von der vierjährigen Frida mit Kässpatzen gefüttert wurde, erfuhren wir, dass man uns gegenüber den Kindern als ‚Engel‘ bezeichnet hatte, was neben der Uniform natürlich eine gewisse Zurückhaltung erklärte.

Meine persönliche Scheu trat jedoch besonders stark zutage, als mir der bestellte Saibling serviert wurde: Einsam auf einem großen Teller, in voller Größe und so frisch, dass ich ihn beinah mit der Schwanzflosse wedeln sah… Ich muss dazu sagen, dass ich eher ein Banause bin, was das Essen von Fisch betrifft – mehr so der Iglo-Fan. Tom bemerkte in seiner offenherzigen und feinfühligen Art, dass dieser Fisch noch bis vor kurzem in dem Aquarium vor der Mühle geschwommen sei und ob ich das nicht gesehen hätte. Nein, hatte ich nicht! Zum Glück war da ein Beweisfoto auf seinem Handy… Na gut. Ich war mir bewusst, dass dies eine teure und ausgesprochen wertvolle Delikatesse war. Seit ich im palliativen Setting arbeite, habe ich mir außerdem vorgenommen, alles, was das Leben mir bietet, interessiert, dankbar und mit Offenheit anzunehmen. Auch einen Fisch, der mich anschaut und noch quicklebendig aussieht! Meine hilfesuchende Frage an Uta, die das gleiche Kaliber auf ihrem Teller liegen hatte, wie man denn so etwas überhaupt isst, lief ins Leere, weil sie es auch nicht wusste. Au weh! Da eilte jedoch schon die aufmerksame Bedienung herbei, die unsere Not offensichtlich mit Kennerblick bemerkt hatte, und fragte, ob sie uns den Saibling entgräten sollte. Ja! Bitte!!! Er schmeckte vorzüglich, solange ich mein Kopfkino ausschalten konnte…

Nach dieser persönlichen Herausforderung signalisierte unser Fahrgast, dass er nun so erschöpft war, dass wir alsbald die Heimfahrt antraten. Die Verabschiedung durch die Braut und ihre Mutter war so dankbar, herzlich und tränenreich, dass wir dieses wunderbare Gefühl in uns spürten, welches uns Wunscherfüller:innen so beglückt und anspornt. Unsere Wunschfahrt war auch dieses Mal wieder ein unbeschreibliches Geschenk! ‚Das schönste Geschenk zu unserer Hochzeit!‘, so die zutiefst dankbare Braut!“

*Name geändert

Ein Bericht von Ines, Wunscherfüllerin aus dem Allgäu.