Take my breath away...

„‘Sind das etwa Sicherheitsschuhe?‘ Mein Kollege kann es nicht fassen. Ich bzw. meine Schuhe sind bekannt dafür, bunt, beim Laufen klackernd – oder im Idealfall beides – zu sein. Und jetzt das: schwarze Sicherheitsschuhe, die kein einziges Geräusch machen. Es ist viel, was heute anders ist als an anderen Tagen.

Die Wunschfahrt beginnt ganz in meiner Nähe, ich gehe vorher noch ein paar Stunden ins Büro. Meine Wunscherfüllungs-Kolleginnen Nina und Belinda fahren mit dem Wünschewagen direkt zu Yvonne, unserem heutigen Fahrgast. Ich fahre mit dem Fahrrad und bin einige Minuten vor ihnen da. Ein außergewöhnlicher Wunsch, Yvonne möchte zum militärischen Flughafen nach Jagel. Sie möchte die Jets starten sehen. Und sie möchte, dass Mathias, ihr Mann, und Natascha, ihre Tochter, sie dabei begleiten.

Yvonne ist großer Fan von ‚Top Gun‘, einer DER Film-Klassiker der 1980er Jahre. Ich kann mir gut vorstellen, was Yvonne damit verbindet, als Mathias mir das gerahmte Bild von Tom Cruise zeigt. Die romantische Geschichte, die wunderbare Filmmusik – Millionen Mädchen waren damals vermutlich in Tom Cruise verliebt. Millionen Mädchen – Yvonne nicht. Sie schwärmte damals schon lange für Mathias. Jetzt, endlich, während des Films, kam es zum ersten Kuss. Jahre, nachdem sie ihm als Jugendliche erstmals ihre Liebe gestanden hatte (geschrieben auf der schönsten Pferde-Postkarte, die sie hatte!) und die er damals nicht erwidert hat.

Sie lächeln beide, als sie uns davon erzählen, von der Hochzeit 1992 und den gemeinsamen Jahren. Wir dürfen sie kennenlernen auf der Fahrt nach Jagel, diese Familie, bei der so vieles nicht einfach war. Mathias sitzt vorne bei Nina und mir, erzählt von den Anfängen der Krankheit, die schon lange das gemeinsame Leben bestimmt. Von Ärzten, die ihm und Natascha sagten: ‚Machen Sie sich auf das Schlimmste gefasst!‘, als Yvonne im Koma lag – und von dem Wunder, dass sie wieder auf die Füße kam. Eingeschränkt, das Sauerstoffgerät ist immer dabei, die Medikamente hoch dosiert – aber sie hat noch einiges zu erleben, in dieser letzten Lebensphase. Die Jets starten sehen, zum Beispiel. Das ist möglich, weil viele, wunderbare Menschen den Wünschewagen unterstützen.

Es ist ein bisschen aufregend, bevor wir auf das Gelände kommen. Personalausweise werden gesucht (und gefunden!), die Nervosität steigt, bis wir von einem sehr netten Mitarbeiter abgeholt und über das Gelände begleitet werden. Die Gefühle liegen nahe beieinander. Trauer, als Yvonne sagt: ‚Es sollte nicht sein, dass wir zusammen alt werden.‘ Weil sie weiß, dass sie ihren 51. Geburtstag vermutlich nicht miteinander feiern. Das Gefühl, dass das Leben bald vorbei ist, war schon ganz nahe. ‚Ich dachte, dass ich in dieser Woche sterbe. Aber ich habe ja noch ein bisschen zu tun.‘ Zuversicht, wenn sie erzählt, wie sie aus dem Himmel auf ihre Familie guckt und auf die aufpasst, die sie liebt. Dass es ihr so unglaublich schwer fällt zu gehen und sie zurückzulassen. Und riesengroße Freude, als die ersten Jets starten.

Der Himmel ist so klar und blau wie in einer Filmkulisse. Yvonne, perfekt ausgerüstet mit ihrer Top-Gun-Mütze und den Ohrenschützern, steht ganz vorne und genießt den Moment. Natascha sorgt für den entsprechenden Soundtrack, abwechselnd werden Lieblingslieder über das Handy gespielt. ‚Im Himmel geht es weiter‘ und immer wieder ‚Take my breath away‘. Es ist ein ohrenbetäubender Lärm und gleichzeitig ein Moment voller Stille. Yvonne, die so viel lieber gibt als nimmt, ist die Hauptperson. Manchmal wird deutlich, wie schwer sie das aushält, dass sich alles um sie dreht. Es gibt Unterschriften auf der Lieblingsmütze von allen, die vor Ort waren. Kleine Souvenirs von den Feuerwehrleuten, die direkt nebenan standen. Und das Gefühl, dem Himmel ganz nahe zu sein.

Es gibt ein Zitat aus dem König der Löwen, das Mathias im Zusammenhang mit seiner Familie öfter erwähnte: ‚Ich bin nur mutig, wenn ich es sein muss!‘ Es braucht Mut, diesen letzten Weg gemeinsam zu gehen. Vielleicht hilft das Gefühl, dass Yvonne ‚von da oben‘ aufpasst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das tun wird."

Ein Bericht von Tinka Beller, Autorin und Wunscherfüllerin aus Schleswig-Holstein.

Update: Vier Tage nach unserer Fahrt ist Yvonne verstorben. So, wie sie es sich gewünscht hat, im Beisein ihrer Familie. Mathias und Natascha möchten ein Foto von ihr und Kerzen in der Wohnung aufstellen. Gänsehautmoment: Im Laden, in dem sie die Kerzen kaufen, läuft in diesem Moment „Take my breath away“. „Das ist ein Zeichen von Mama, ich bin mir ganz sicher!“ Hat sie doch gesagt...