Wunschfahrt zum Königssee

Alois, Ursula und ich sind heute allesamt um 4 Uhr aufgestanden, zählen Gott sei Dank nicht zu der Kategorie ‚Morgenmuffel‘ und starteten deshalb fröhlich lachend wie geplant um 6.30 Uhr in Kaufbeuren Richtung Wertingen.

Als wir pünktlich um 8 Uhr in den Hof unseres Fahrgastes einbogen, wartete er bereits im Rollstuhl sitzend mit seiner Frau draußen. Bei frostigen 5°C! Wie gut, dass wir so pünktlich waren, sonst hätten wir eine Eisprinzessin mit ihrem Prinzen an Bord genommen.

Unser Fahrgast war trotz seiner 84 Jahre und der schweren Erkrankung in einer solchen Vorfreude, dass er nur ungern den Platz auf der Liege einnahm und zumindest darauf bestand, in sitzender Position die Landschaft und die richtige Wegstrecke mitzuverfolgen. Na klar, sehr gerne!

Theo*, der erst seit September dieses Jahrs von seinem Magenkarzinom weiß, hatte den Wunsch, zusammen mit seiner Frau eine Schifffahrt auf dem schönen Königssee im Berchtesgadener Land zu machen. Vor genau 60 Jahren waren sie dort nämlich auf ihrer ersten gemeinsamen Reise gewesen, bevor sie zwei Jahre später heirateten. Die freiwillige Feuerwehr hatte dies 1963 organisiert und sie erlebten damals einen wunderschönen Tag miteinander, der sie bis heute innig verbindet. Immer wieder waren sie dorthin zurückgekehrt, hatten in Erinnerung an ihre erste gemeinsame Reise geschwelgt, die Schifffahrt mit dem legendären Echo und in St. Bartholomä die einzigartige Atmosphäre genossen.

Schnell waren wir auf unserer Wunschfahrt nun beim ‚Du‘ angelangt und die ganze Fahrt über auf Gedankenreise. Beide erzählten von ihren unzähligen Busreisen, die sie in ihren gemeinsamen Jahren gerne unternommen hatten. Auch Flusskreuzfahrten zählten zu ihren schönsten Erinnerungsschätzen, wobei auffällig oft der liebevoll-dankbare Satz fiel ‚Das haben uns die Kinder geschenkt!‘. Sie müssen wundervolle Kinder haben, war meine Bemerkung, was sie voll Inbrunst bestätigten.

In den letzten Jahren hatte Gabi* aus der Not heraus manches alleine und in abgespeckter Version unternommen, weil Theo sie nicht mehr oder nur noch kurz begleiten konnte. Auch die Teilnahme an der Taufe ihrer letzten zwei Enkel war gemeinsam nicht mehr möglich gewesen, berichtete Gabi. Es war ihr anzumerken, wie weh das tat. Ihre Miene hellte sich schlagartig auf, als sie von ihrer Hofübergabe an einen ihrer Söhne berichtete, der nun statt der Kühe sieben Pferde eingestellt und einen Reitplatz gestaltet habe. Jeden Abend sei er deshalb da, würde jetzt in der dunklen Jahreszeit bei Flutlicht reiten und die Tiere versorgen.

Unter all den Erzählungen verging die Zeit unserer langen Fahrt wie im Flug und irgendwann verkündete Theo dann, er habe Hunger. Gabi hatte mit einem tollen Lunchpaket vorgesorgt und erwähnte sichtlich froh, dass sein Appetit trotz der Erkrankung ungebrochen sei. Theo habe richtige Freude am Essen.

Gegen 12 Uhr erreichten wir bei strahlendem Sonnenschein den wunderschönen Königssee. Wir alle freuten uns auf die bevorstehende Schifffahrt bei diesem Kaiserwetter. Wir arrangierten zunächst noch ein paar schöne Fotos mit und ohne Wünschewagen, bevor wir dann zum Schalter flitzten, um die Karten zu besorgen. Dort wurden wir vom Personal der Schifffahrtsgesellschaft schon erwartet und sehr freundlich begrüßt. Zu unserer großen Freude durften wir Wunscherfüller:innen zum halben Preis und die zwei Ehrengäste sogar kostenlos übersetzen. Wow, das war großartig! An dieser Stelle nochmal vielen Dank an die Königssee Schifffahrt! 

Auch wurde uns der beste Platz im Schiff freigehalten, so dass wir die imposante Bergkulisse mit dem zauberhaft gefärbten Herbstwald inmitten des klaren Königssees so richtig genießen konnten. Gabi und Theo strahlten übers ganze Gesicht. Sie wirkten richtig selig und kannten jeden Winkel, jede Geschichte und auch die Sage vom versteinerten Watzmann mit seinen sieben Kindern.

Gespannt öffneten wir kurz vor der Halbinsel Hirschau die Fenster der ‚rechten Seite Steuerbord‘, wie uns von dem lustigen Kapitän geheißen wurde, um dem legendären Echo zu lauschen, welches von den Felswänden durch sein Trompetenspiel zurückgeschmettert wurde. Es war wirklich sehr beeindruckend!

Wenige Minuten später legten wir am Schiffssteg an und schrieben uns erstmal die Abfahrtszeit des letzten Schiffes hinter die Ohren, um der Gebühr von 200 Euro Rücktransport durch die Wasserwacht oder der Strafe von 400 Euro durch notgedrungenes Wildcampen zu entgehen. Denn einen Fußweg zurück oder dergleichen, gibt es nicht. Dann erkundeten wir dieses zauberhafte Fleckchen Erde mit seiner berühmten Wallfahrtskirche St. Bartholomä, hielten unsere Eindrücke in vielen bilderbuchtauglichen Fotos fest und kehrten zum Abschluss in die gemütliche Gaststätte ein, um uns den kulinarischen Genüssen zu widmen. Vom Hühnerschnitzel mit Kartoffeln, Schweineschnitzel oder Currywurst mit Pommes, über Gulaschsuppe mit Brot und Knödeltrio auf Salat war alles dabei und es schmeckte durchweg herrlich!

Gabi und Theo strahlten, wiederholten immer wieder ihre Dankbarkeit und waren völlig im Einklang mit all dem Erlebten zu ihrem 60-jährigen Jubiläum. Sie spendierten uns abschließend einen feinen Espresso, bevor wir flugs unsere Sachen zusammenpackten und das vorletzte Schiff anvisierten. Wir erwischten es locker, genossen die Rückfahrt und bewunderten noch einmal das Schmuckstück des Berchtesgadener Landes. Die goldene Stunde war bereits angebrochen so dass die, vom ersten Schnee gezuckerten, Berggipfel von den letzten Sonnenstrahlen geküsst wurden.

Glücklich und zufrieden erklommen wir, am Festland angekommen, zuerst das Ufer, dann wieder den Wünschewagen und traten so die Heimreise an. Trauer war nicht zu spüren, stattdessen eine tiefe Dankbarkeit.

Kurz nach 20 Uhr erreichten wir die heimischen vier Wände und wurden beim Aussteigen von der sichtbar erfreuten ‚Pauli‘ begrüßt, einer schönen grauen Katze, die von Theo sehr liebevoll gehätschelt wurde. Mit vereinten Kräften erklommen wir die Treppenstufen, versammelten uns in der warmen Stube und überreichten unser kleines Fotobüchlein zur Erinnerung an diesen wertvollen Tag. Auch der kleine Blumenstrauß aus dem Wünschewagen, der unsere Fahrt mit Leichtigkeit geschmückt hatte, fand seinen Platz auf dem Esstisch, so dass wir uns bald verabschiedeten.

Mit dankbarer Freude wünschten wir uns gegenseitig alles Gute und traten unsere Rückfahrt nach Kaufbeuren an. Danke an alle, die diesen Wunsch so spontan ‚in Form gegossen‘ und so zur Erfüllung gebracht haben. Es tut einfach gut, dabei zu sein!“ 

Ein Bericht von Ines Rudolf, Wunscherfüllerin aus dem Allgäu.

*Namen geändert